Mit Wasserstoff durch Hessen
Neulich habe ich ein Wasserstoffauto ausprobiert. Dass ich mich darin erst zurechtfinden musste, lag vor allem an meiner Unbedarftheit, was Autos angeht. Schließlich habe ich das Pedal für die »Hand«bremse aber doch gefunden. Ansonsten war der Startknopf die einzige wasserstoffspezifische Besonderheit: Man muss zweimal drücken, um die Brennstoffzelle einzuschalten.
Fahren kann man dann so leise wie mit rein batteriebetriebenen Modellen. Die Beschleunigung hat mir gut gereicht. Ein bisschen sensibel erschien mir die Tanktechnik noch: Beim zweiten Tanken zeigte die Säule am Schluss einen Fehler an. Wahrscheinlich habe ich den Schlauch zu früh abgezogen.

Bemerkenswert fand ich, wie »konventionell« es unter der Motorhaube aussieht, insbesondere wegen des Kühlers. Man muss schon etwas genauer hinschauen, um zu erkennen, dass hier kein Benzin verbrannt wird. Insgesamt war ich als Fast-Nie-Autofahrer von dieser Fahrt mit Wasserstoff sehr angetan. Wahrscheinlich fallen die folgenden Gedanken zum Für und Wider von Batterie und Brennstoffzelle deshalb etwas einseitig zugunsten letzterer aus:
- Die Batterie ist beim Brennstoffzellenfahrzeug nur ein Zwischenspeicher und kann deshalb viel kleiner sein als beim reinen Batteriebetrieb. Man braucht also weniger Lithium etc.
- Wasserstoff lässt sich genauso schnell tanken wie fossile Treibstoffe – ohne strapaziöses Schnellladen von Batterien.
- Für 100 km brauchen die heute erhältlichen Fahrzeugmodelle (Toyota, Hyundai) größenordnungsmäßig 1 kg Wasserstoff. Um ihn elektrolytisch zu erzeugen, braucht man etwa 55 kWh. Das ist deutlich mehr als der Strom für reine Batterie-Modelle: Er liegt eher bei 20 kWh pro 100 km oder weniger (siehe unter https://www.adac.de/infotestrat/autodatenbank). Den Wasserstoff kann man aber auf Vorrat herstellen. Es muss nicht viel Kapazität für den Moment vorgehalten werden, in dem alle aufladen wollen.
- Heute wird 1 kg Wasserstoff (also genug für 100 km) an deutschen Tankstellen einheitlich für 9,50 € verkauft. Für ein reines Batteriefahrzeug z.B. mit grob 20 kWh pro 100 km inklusive Ladungsverluste ergäben sich selbst bei einem Strompreis von 30 ct/kWh für private Haushalte nur 6 €. Der Wasserstoff könnte aber billiger werden, wenn er in Spitzenzeiten elektrolytisch aus überschüssigem Wind- oder Sonnenstrom produziert würde.
- Die heute 77 Tankstellen in Deutschland, die man heute bei h2.live findet, sind immerhin etwas. In einigen Gegenden (Rhein-Ruhr, Rhein-Main-Neckar) und Großstädten sieht es schon ganz gut aus, und etliche weitere Stationen werden laut Karte schon gebaut. Wenn es pro Station nur eine Säule gibt, fällt aber bei einem Defekt gleich die ganze Station aus. So leuchten auf der Karte schnell mehrere rote Punkte. Man sollte deshalb immer noch eine Ausweichmöglichkeit einplanen.
- Bei unserer Probefahrt war alles in Ordnung. Ich kann aber nicht beurteilen, wie zuverlässig die Komponenten (Brenstoffzelle, Batterie) funktionieren und wie lang sie halten.
- Bei aller Begeisterung für die Brennstoffzelle: Die heute in Autos verbauten Modelle brauchen in der Regel als Katalysator Platin in der Größenordnung von 50 g. Mit allen Problemen, die am Bergbau dranhängen. Man findet an verschiedenen Stellen die Einschätzung, dass man es durch andere Stoffe ersetzen oder zumindest die Menge deutlich verringern könne. Ich kann nicht beurteilen, ob sich solche alternativen Katalysatoren bewähren.
- Bei einem Listenpreis von fast 70.000 € für das neue Hyundai-Modell Nexo und noch mehr für den Toyota Mirai werden sich heute nur Überzeugungstäter ein Wasserstoffauto kaufen. Dieser Preis muss aber nicht das letzte Wort sein, denn bis jetzt wurden die Modelle nur in kleinen Serien hergestellt. Und ein hoher Preis könnte doch eigentlich eine Chance für Carsharing-Firmen sein, weil so das teure Fahrzeug bestmöglich ausgenutzt wird. Jaaa, das ist sicher zu naiv gedacht, und ich weiß, dass beezero in München sich nicht getragen hat und wieder eingestellt wurde. Aber ganz egal ob Brennstoffzelle oder Batterie: Es geht nicht nur darum, wieviele Autos eines bestimmten Typs in Zukunft fahren, sondern wieviele nicht mehr fahren oder herumstehen, einschließlich der in ihnen enthaltenen kostbaren Stoffe.
Soweit mein heutiger Eindruck. Ich will nicht ausschließen, dass ich meine Meinung noch einmal um 180° ändere. Aber ein bisschen mehr Aufgeschlossenheit als »Wasserstoff ist der Antrieb der Zukunft und wird es auch bleiben…« erscheint mir schon vertretbar.
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