Johannes Kohlschütter

Original verkorkst

Neulich war Loriots zehnter Todestag. Ich hatte mir als Hommage eigentlich die – wie manche heute wohl sagen würden – Challenge vorgenommen, pünktlich bis zum 22. August den Text von Ödipussi aufzuschreiben, soweit ich ihn noch im Gedächtnis habe. Zumindest angefangen habe ich damit. Und ich würde schon für mich in Anspruch nehmen, über weite Strecken auch in Details noch relativ textsicher zu sein. So weiß ich noch, dass die dänische Kombiserie durch ihre großzügige Raumaufteilung und ihre durchdachte Innenausstattung überzeugt und in violetten Sitzgruppen vor allem alleinstehende Frauen (donne abbandonate?) suizidgefährdet sind. Gut, bei manchen Szenen, zum Beispiel bei der Vereinssitzung, gerate ich durcheinander (und weiß zwar noch, dass Frau Westphal ein Viertel trockenen Roten kriegt, aber nicht mehr, für wen die Schlemmerschnitte war). Aber das tut der Kellner („ein Pils, zwei Bier, ein kleines…“) ja auch.

Frühe Erinnerungen bleiben halt lang. Und ich habe diesen Film tatsächlich früh kennengelernt: Ich konnte schon in einem Alter mitsprechen, in dem mir der Name Ödipus noch nix sagte und auch Puss(i/y) keine Assoziationen auslöste.

Bis heute ist Loriot für mich unübertroffen. In seiner Feinheit, seiner Genauigkeit. Und in der Fähigkeit, mit scheinbar harmlosen Worten in Abgründe vorzudringen: An Bord genügt eine Tagesration an Speisen und Getränken. Sie zirkuliert.

Man kann also verstehen, warum kleinere Theater vor allem, aber vielleicht nicht nur zur Weihnachtszeit (ach nee, das war Heinrich Böll) gern eine Art Medley aus seinen Sketchen zusammenschreiben.
Natürlich habe ich in verschiedener Gesellschaft auch den einen oder anderen solchen Abend besucht. Und ich will nicht unfair sein: Natürlich ist es ganz lustig zu sehen, wie Herausforderungen wie der schrumpfende Professor oder das reinzutragende Klavier auf der Bühne umgesetzt werden. Trotzdem wirkten solche Aufführungen auf mich immer ein bisschen wie eine abendliche Nachschulung für humoristische Analphabeten. Ich empfand dann einerseits Mitleid für die Schauspieler, die selbst bei hoher Leistung die Präzision des Originals umständehalber natürlich nicht erreichen konnten. Und andererseits eine unterschwellige Verachtung für das johlende Publikum: Haben die diese Pointe jetzt wirklich zum ersten Mal gehört?

Deshalb ist es richtig, junge Menschen früh an Loriots Werk heranzuführen. Zum Beispiel indem man sie bei der Schulweihnachtsfeier zur Gaudi der Eltern den Familienbenutzer oder den sprechenden Hund aufführen lässt. Als schon etwas reifere Menschen (nicht wahr, Herr Weber?) sollten wir dagegen nicht in nachahmender Eigenproduktion dilettieren, sondern die alten Filme anschauen und dann festellen: Das ist Qualität. Ganz wie bei den Erzeugnissen von Pahlgruber und Söhne.


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