Johannes Kohlschütter

Jetzt kommen die Geier

Der Film „Männerpension“ von 1996 enthält einige ebenso lustige wie ergreifende Szenen. Insbesondere die, in der Detlev Buck Frank Castorf unmissverständlich und handfest klarmacht, wie man nicht mit Heike Makatsch umgehen darf: „Du musst dir die Leute genauer ankucken, ja, sieh genau hin!“ Ein wahrer Satz – an den ich mich aber leider nicht immer gehalten habe. Vielleicht hätte ich sonst geahnt, dass mit Wirecard tatsächlich was nicht stimmt, als ich Anfang 2019 einen Auftritt von Markus Braun beim „DLD“ angeschaut hatte. Ich war da eigentlich gar nicht seinetwegen gelandet, sondern weil ich mal sehen wollte, was Hubert Burda so macht.

Jedenfalls hatte ich in dieser Zeit auch etwas Geld für ein paar Wirecardaktien ausgegeben. Das ist jetzt bekanntlich weg woanders. Nicht dass es auch damals schon keine Warnungen gegeben hätte. Nicht dass ich die nicht zur Kenntnis genommen hätte. Nur herrschte auch damals schon der Eindruck vor, dass die Vorwürfe gegen Wirecard – ob nun berechtigt oder nicht – lautstark von Leerverkäufern aufgegriffen wurden, die auf fallende Kurse wetteten. Und diese Art des Geldverdienens finde ich halt vorsichtig ausgedrückt nicht ganz so toll. Ich habe also meine Aktien damals nicht „rechtzeitig“ verkauft, weil ich dieses trübe Geschäftsmodell nicht bedienen wollte – auf das Risiko, Geld zu verlieren. Um Missverständnisse zu vermeiden: Meine Hochachtung gilt allen seriösen Journalisten oder „Whistleblowern“, die Missstände aufdecken, OHNE davon spekulativ zu profitieren.

Natürlich ist man hinterher oft schlauer und wirft sich vor, nicht rechtzeitig reagiert zu haben. Ernüchternd ist aber eigentlich nicht so sehr die Erkenntnis, dass man hier mal auf heiße Luft hereingefallen ist und verloren hat. Schwerer wiegt die Einsicht, dass bei den anderen Malen, wo es „gutgegangen“ ist, auch vielleicht einige heiße Luft beteiligt war.

Nun ist zu den (natürlich mutmaßlichen…) Betrügern und den Leerverkäufern um Wirecard eine weitere schillernde Spezies dazugekommen: Die der Berufskläger. Neulich signalisierte mir ein Unternehmen mit Schweizer Adresse über meine Depotbank das Interesse, mir meine etwaigen Ansprüche gegenüber dem Wirtschaftsprüfer Ernst & Young wegen unsorgfältiger Prüfung von Wirecard abzukaufen. Ich kann nicht beurteilen, ob Ernst & Young was vorzuwerfen ist. Kann man von einem Wirtschaftsprüfer verlangen, dass er die ihm vorgelegten Dokumente nicht nur nachvollzieht, sondern sie gewissermaßen forensisch prüft und seinem Auftraggeber demzufolge wie ein polizeilicher Ermittler misstraut? Vielleicht.

EY-Logo am Bahnhof in Freiburg
Boah, krasser Firmenname ey.

Wie auch immer: Ich bin auf das Angebot nicht eingegangen. Es wäre doch schade, wenn ich aus unerfindlichen Gründen mal Vertretern von Ernst & Young begegnen sollte und dann die angeregte Konversation abbrechen müsste („tut mir leid, ich habe das Recht, mit Ihnen zu reden, verkauft…“). Denn dann könnte ich denen gar nicht die Frage stellen, die mich eigentlich viel mehr interessiert als juristische Wirecard-Winkelzüge, nämlich: Was habt Ihr Euch eigentlich gedacht, als Ihr beschlossen habt, Eure Marke auf die Abkürzung „EY“ zu reduzieren? Habt Ihr Euch Eures Namens geschämt? Wolltet Ihr einfach nicht abseits stehen, weil andere Firmen (Hewlett-Packard) es doch auch gemacht haben? Oder habt Ihr einfach gedacht, „Eee! Why?“ weckt irgendwie positive Assoziationen? Von der deutschen Aussprache als leicht prolliges Satzanhängsel („… ey!“) mal abgesehen?

Nun wird ein solches Gespräch wohl nie stattfinden. Auch mit Jan Marsalek werde ich wahrscheinlich nicht so bald reden. Falls aber doch, müsste man es wohl so machen wie der große Diether Krebs in einer seiner schönen Doppelrollen.


Vorheriger Artikel
Übersicht
Nächster Artikel