Johannes Kohlschütter

Falschrum, aber richtig

Symmetrie ist die Ästhetik des kleinen Mannes. Bei mir war es zumindest so, als ich ein kleiner Mann war: Ich erinnere mich düster, als Kind mal Hemden mit Brusttasche links und rechts bevozugt zu haben. Das ging bald vorbei. Nur manchmal passiert es mir heute noch, dass ich etwas Unsymmetrisches sehe und eine leise innere Stimme mir sagt: Da stimmt was nicht!

In diesem Herbst kam das öfter vor, da ja auf einigen Kanälen über das neue „ABBA“-Album berichtet wurde. Und ich bin halt so an den Schriftzug mit der umgedrehten ersten Hälfte gewöhnt. Ich habe mir erst gedacht: Im Unicode mit seinen bis heute fast 150.000 definierten Zeichen könnte es doch neben all den wertvollen Emojis und Akzentvarianten irgendwo auch eine Ecke für Rückwärtsbuchstaben geben. Gibt’s aber nicht.

Das Problem ist natürlich bekannt und wird im Internet an einigen Stellen erörtert. Ein Ratschlag ist, einfach einen anderen Buchstaben zu suchen, der ähnlich aussieht. Dafür gibt es tatsächlich Rückwärtstext-Generatoren. Mit ihnen landet man beim ᗺ aus der kanadischen Silbenschrift (U+15FA), das offenbar „Kha“ heißt. Das ist zwar ganz lustig. Aber dann steht da halt vielleicht etwas, was ausgesprochen wie „akba“ klingt. Auch wenn das immerhin an das arabische Wort für „gewaltig“ erinnert: Damit wird man dem Lebenswerk von Agnetha, Björn, Benny und Anni-Frid nicht gerecht.

Eingang zur Cité universitaire in Paris
Falsch, aber lustig: Am Eingang zur Cité universitaire in Paris 2004

Nun habe ich gelernt, dass man Text auch mit CSS umdrehen kann, und zwar mit „display:inline-block; transform: scaleX(-1)“.

BABA „Gold“ war eine meiner ersten CDs. Jetzt habe das Voyage-Album gekauft. Ich verdanke BABA so viele bewegende Momente. Und ich bewundere Menschen, die es einfach können – natürlich umso mehr, wenn sie es nach fast vierzig Jahren noch einmal schaffen. Gerade höre ich die Lieder noch einmal, vor allem das strahlende „Don’t shut me down“, das naheliegenderweise vorab veröffentlicht wurde. Manche der übrigen Lieder sind deutlich melancholischer, zum Teil von fast monotoner Traurigkeit – wie das Leben eben auch.

Und dann gibt es ja noch die für die halb-„virtuelle“ Tournee geschaffenen „Abbatare“. Die sind ein eindrucksvolles Beispiel dafür, was „man“ (in diesem Fall also Industrial Light & Magic) heute so machen kann. Andererseits: Ich würde mir auch einen echten Film mit den vieren anschauen, wie sie heute aussehen.

Natürlich sehe ich ein, dass es nicht jedes Zeichen in den Unicode schaffen kann. Wenn man mit dem umgedrehten B anfinge, kämen sicher bald die Befürworter von röck döts aus der (Metal-)Ecke und würden ihre Forderungen nach einseitigen Umlautpunkten vortragen. Von den Symbolwünschen von Prince-Fans ganz zu schweigen.


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